Buchtipp: „Hier bin ich“ von Jonathan Safran Foer

Es ist schon etwas her, dass ich „Hier bin ich“ gelesen habe. Hier hatte ich schon mal kurz darüber geschrieben und auch auf Instagram hat es der ein oder andere schon gesehen. Das Buch hat mir nicht so gut gefallen wie die beiden Vorgänger von Jonathan Safran Foer (ich zähle „Tiere essen“ mal nicht mit, weil es Non-Fiction ist und ich es nicht gelesen habe), trotzdem lässt mich das Buch noch nicht ganz in Ruhe, so dass ich am Ende doch einen Buch-Tipp schreiben wollte.

Jonathan Safran Foer ist vor einigen Jahren als literarisches Wunderkind durch Bücherregale gewandert. „Alles ist erleuchtet“ erschien 2003 und konnte sowohl Kritiker als auch Leser überzeugen. Darin erzählt er aus der Sicht einer fiktiven Figur, die trotzdem seinem Namen trägt, und die in die Ukraine fährt, um dort die Frau zu suchen, die im 2. Weltkrieg seinem Großvater das Leben gerettet hat. Durch Alex, seinen Fremdenführer, ist das Buch trotz des ernsten Themas sehr lustig.
Danach folgte 2005 „Extrem laut und unglaublich nah“, ein Buch, in das ich mich gleich beim ersten Lesen verliebt habe. Die Geschichte ist verschachtelt und kreativ. Der kleine Oskar hat in den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September seinen Vater verloren. Mit allerlei Mitteln versucht er, dieses Trauma zu überstehen, u.a. mit einer Schnitzeljagd durch ganz New York auf der Suche nach dem passenden Schloss für einen mysteriösen Schlüssel. Wie in „Alles ist erleuchtet“ gibt es auch hier wieder eine weitere Erzählebene: Gleichzeitig verfolgen wir die bewegende Geschichte von jemandem, der im 2. Weltkrieg die Bomben auf Dresden hat fallen sehen und erleben eindrucksvoll das einschneidende Erlebnis einer älteren Generation. Das Buch bringt alles auf wunderbare Art zusammen und spielt mit dem Layout, wie ich es noch nie zuvor gesehen habe.

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Die Erwartungen an ein neues Buch konnten also kaum höher sein, bei mir wie wahrscheinlich auch bei allen anderen Lesern. 2016 liegt dann endlich dieser Backstein von einem Buch in meinem Schoß: 683 Seiten. Und die Meinungen, die schon durchs Netz schwirren, bevor ich anfange zu lesen, waren gespalten. In „Hier bin ich“ bleibt es bei im großen und ganzen einer Erzählperspektive und linearer Geschichte, es gibt kein Rätsel, das gelöst werden muss, und die Themen sind Familie, Trennung und Identität. Puh.

Aber starten wir mit der Story: In „Hier bin ich“ geht es um die Familie Bloch. Vater Jacob und Mutter Julia sind seit Ewigkeiten zusammen, haben sich ein hübsches, wohlhabendes Leben eingerichtet und merken nun, dass da eigentlich nichts mehr ist. Ihre drei Söhne sehen das schon lange kommen, haben aber ganz andere Probleme. Die Handlung streckt sich über ein paar Wochen, in denen eigentlich die Bar Mizvha des ältesten Sohnes vorbereitet werden sollte. Stattdessen ist alles unsicher und es passieren 1000 andere Dinge.

Ich mag Familiengeschichten mit vielen verschiedenen Charakteren und das Drunter und Drüber hat mir gut gefallen. Trotzdem ist das Buch nicht von der Handlung getrieben, sondern von den Charakteren. Der Witz, die Schlagfertigkeit und das Tempo der Gespräche im Buch wurden in der FAZ gelobt. Das war leider gerade ein Punkt, den ich nicht mochte. Das war alles so konzentriert und nicht echt. Wie viele Kindergarten-Kinder denken so lange und eloquent über ihre eigene Sterblichkeit nach? In anderen Büchern wird gehandelt, hier wird fast ausschließlich geredet. Immer und immer wieder und über nichts.

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Auch das funktioniert in anderen Büchern, in denen wir die Figuren bzw. die Figuren sich selbst nicht so schrecklich ernst nehmen. Hier scheint aber alles bis zum Platzen mit Bedeutung aufgeladen zu sein. Und klar, für die Figuren ist es das auch. Jacob und Julia merken, dass ihre Ehe am Ende ist und das ist auch ein starker Teil des Buches. Die Gedanken, die sie sich vor der Trennung machen, die Situationen, die darauf hinarbeiten, sind echt. Gleichzeitig geht es darum, wie man als erwachsener Mensch mit Familie sein eigene Identität bewahren kann und sich nicht in alltäglichen Aufgaben auflöst. Jacob, sein Vater und sein Cousin aus Isreal denken zudem die ganze Zeit über ihre jüdische Identität nach. (Das „Ereignis“ im zweiten Teil des Buches überspringe ich jetzt mal – das habe ich als dummes Ausweg aus Jacobs Identitätskrise empfunden.)

Jedes einzelne dieser Elemente funktioniert (mal mehr oder weniger). Alles zusammen verliert sich aber immer wieder im Chaos. Mein größtes Problem mit dem Buch ist aber leider folgendes: Mir waren die Figuren allesamt egal. Dieses stetige Jammern von Jacob hat mich fast wahnsinnig gemacht. Ich hatte einfach keine Lust mir fast 700 Seiten lang das Selbstmitleid eines Midlife-Crisis-geplagten Mann anzuhören. Für viele andere Leser mag das ein wichtiger und interessanter Aspekt des Buches sein. Ich finde mich darin nicht wieder.

Warum ich das Buch trotzdem empfehle? Weil ich noch immer darüber nachdenke. In dem Buch stecken so viele unterschiedliche Emotionen, dass ich immer wieder kurz an das Buch denken muss. Alles ist darin von Bedeutung. Und vielleicht braucht es hier länger als sonst, bis es bei mir ankommt. Außerdem denke ich, das Menschen (Männer) in anderen Situationen als ich (in der Krise) noch viel mehr aus dem Buch holen können als ich. Für Erstleser von Jonathan Safran Foer empfehle ich es aber nicht. Greift da lieber mal zu einem der ersten.


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