Uuuund das war’s. Schon wieder ein Jahr rum. Meine persönliche Lese-Challenge ist geschafft (dazu dann mehr in meinen Jahreshighlights) und obwohl ich das Gefühl hatte, dass ich im Dezember nicht so richtig zum Lesen gekommen bin, kann ich mich nicht beklagen. Für den letzten Monat hier also ein Schmöker, ein Sommerbuch, ein Pandemiebuch und mehr.
Der Anschlag – Stephen King
Wer bei Stephen King nur an 80er Jahre-Horror denkt, liegt hier falsch. Es ist weder das eine, noch das andere. Stattdessen bekommen wir eine epische Zeitreise, einen sorgfältig recherchierten Krimi zum Mord an John F. Kennedy, eine zärtliche Liebesgeschichte, und ja, ok, auch ein klein bisschen Grusel. Auf über 1.000 Seiten reist Protagonist Jake durch ein Wurmloch zurück ins Jahr 1960 und soll dort herausfinden, ob Lee Harvey Oswalt tatsächlich der einzige Schütze war und dann das Attentat verhindern. Aber die Vergangenheit wehrt sich gegen Veränderungen, besonders heftig, wenn es so große sind. Ein herrlich nostalgischer Schmöker ist das, der immer wieder wahnsinnig spannend wird. Rock’n’Roll-Schultänze, Internetlosigkeit und Diskriminierung der 60er inklusive. Das Buch ist auf jeden Fall unter meinen Top-King-Romanen. (Und ein besonderes Highlight für Fans gibt es auch: ein Ausflug nach Derry.)
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Botschaften an mich selbst – Emilie Pine
Als ich mit dem Buch anfing, dachte ich schnell, dass es wieder so ein autofiktionales Buch ist, wie ich es in diesem Jahr schon oft gelesen habe. Was nicht heißt, dass es schlecht ist, es war eher ein kurzes Gefühl von „Kenn ich schon“. Dann aber las ich und las ich und habe das Buch in zwei Tagen weggelesen. Und ja, auch wenn es genau solch ein autofiktionales Buch war, wie ich es erwartet habe, war es doch anders. Die Themen sind intensiv, aber fast jedes Thema wurde aus einer für mich recht neuen Perspektive behandelt. Sehr dicht geschrieben geht es hier u.a. um Mutterschaft (aus der Sicht einer Frau, die gerne Mutter werden möchte, es aber nicht kann), anstrengende Eltern (aus der Sicht der Tochter, die sich kümmern muss), eine wilde Jugend (von einer, die sich das im Nachhinein nicht schönredet). Die Essays sind ehrlich und nah, ohne voyeuristisch zu werden, die Perspektiven sehr „weiblich“ ohne das besonders herauszustellen. Ein richtig gutes Buch, nicht von dem komischen Cover abschrecken lassen.
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New York Ghost – Ling Ma
Vorsicht, Pandemie-Buch. Ich habe das Gefühl, dass man vor diesem Thema heute ein bisschen warnen sollte. Aus irgendeinem makaberen Grund genieße ich diese Bücher aber noch immer sehr. In New York Ghost greift das unheilbare Shen-Fieber um sich, ein Pilz, der sich über China in die ganze Welt verbreitet. (Das Buch kam tatsächlich kurz vor Corona raus.) Gemeinsam mit Candace erleben wir, was passiert, wenn das große New York allmählich ausstirbt, wie Einsamkeit sich anfühlt, aber auch, wie Überlende sich neu organisieren. Ich will gar nicht zu viel zur Handlung sagen, da gibt es vieles, das man schon aus anderen Büchern kennt, aber auch einige neue Ansätze. Ich mochte besonders die Atmosphäre in New York und wie zärtlich die Autorin Themen wie Familie, Erwartung, Einwanderung und Kapitalismus anspricht. Mochte ich sehr.
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Tschernobyl, Rückkehr ins Niemandsland – Natacha Bustos und Francisco Sánchez
Gleich noch ein Katastrophen-Buch hinterher, aber eines, das mich eher enttäuscht hat. In dieser Graphic Novel kehren wir mit einer Familie zurück nach Pripyat und Umgebung. In verschiedenen Abschnitten steigen wir zu unterschiedlichen Zeiten in die Geschichte ein – kurz vor der Katastrophe, mittendrin etc. Dabei geht es nicht um das Atomkraftwerk, sondern um die Konsequenzen der Menschen, die dort gelebt haben. Leider hat mir das Buch nicht viel neues erzählt. Wenn ihr euch für das Thema interessiert, empfehle ich die Serie „Chernobyl“ von 2019.
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Call me by my name – André Aciman
Was braucht man am Ende des Jahres, wenn alles grau und kalt und blöd ist? Ein Sommerbuch! Voller Hitze und Sprüngen ins Meer und Herzflattern. Mir hat das jedenfalls gutgetan. Zusammen mit dem 17-jährigen Elio verbringen wir den Sommer an der italienischen Riviera. Jedes Jahr kommt ein Uni-Absolvent dazu, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter für ein paar Wochen bei seinem Vater arbeitet. Dieses Jahr ist es Oliver, so schön, so schlau, so anders, und Elio verliebt sich auf der Stelle in ihn. Was folgt sind Tage und Wochen, in denen Elio sich nach ihm sehnt, auf kleinste Zeichen achtet, zurückgewiesen wird und sich verführen lässt. Wahrscheinlich hat die ein oder andere schon den Film gesehen, das Buch ist jedenfalls viel intensiver, weil es direkt aus der Perspektive von Elio geschrieben ist und wir uns mit ihm sehnen, Gesten und Worte interpretieren, glücklich und traurig sein können. Auch die Sprache ist so üppig und verträumt wie der Sommer. Das Buch ist eine Liebesgeschichte ohne Kitsch, stellenweise sogar erotisch, ohne dass ich wie sonst die Augen verdrehen musste. Ich habe mich mit den beiden von der Sonne kitzeln lassen, italienisches Essen genossen und ein Abenteuer in Rom erlebt.
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Kleine Freiheit – Nicola Kabel
Mein letztes Buch aus 2021 und ein etwas deprimierender Abschluss. Was nicht am Buch lag, das ist toll, sondern am Thema. Saskia ist gerade 40 geworden und lebt mit Mann und Kindern in einem großen Haus am Rande irgendeines kleinen Ortes. Alles könnte perfekt sein, wenn da nicht ein Windpark um die Ecke gebaut werden sollte, wenn da nicht ihr unkonventioneller Hippie-Vater wäre, wenn ihr Mann sie mehr unterstützen würde, wenn ihr Mutter noch am Leben wäre und überhaupt. Als sie sich mehr und mehr in einer Bürgerinitiative engagiert, gerät sie in nationalistisch-konservative Kreise, die verlockend anders sind als alles, mit dem sie aufgewachsen ist. Die Perspektive des Buches springt zwischen verschiedenen Mitgliedern der Familie hin und her und bietet auf diese Art Einblicke in die unterschiedlichen Motivationen, Hintergründe und Konflikte. Das ist alles sehr spannend und vielschichtig. Aber auch wenn all die Figuren und ihre Erzählungen gut zusammenpassen, hätte ich es mir an manchen Stellen weniger allumfassend gewünscht. Am Ende bleiben die Fragen: Was bedeutet perfekt für uns? Wie wollen wir leben? Wofür setzen wir uns ein? Welche Kompromisse sind wir bereit einzugehen? Und auch, wenn es hier ein bisschen trocken klingt, kann ich das Buch empfehlen.
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Extra: Inmitten der Nacht – Rumaan Alam
Im Juni habe ich “Leave the world behind” auf Englisch gelesen und es war woooow, ihr werdet das ganz sicher in meiner Jahreshighlight-Liste wiederfinden. Jetzt ist das Buch auf Deutsch erschienen und der btb-Verlag hat mir die Übersetzung geschickt. Auch hier kann ich sagen: Jaaaaa. Wenn ihr noch auf der Suche nach einem spannenden Buch für die Feiertage seid, dann schlagt zu. Aber seid gewarnt – ihr werdet “Inmitten der Nacht” ruckzuck durchlesen wollen. In meinem Post im Juni habe ich schon erzählt, worum es geht: Eine Mittelklasse-Familie leistet sich für den Sommerurlaub ein Haus auf Long Island und schwelgt ein bisschen im Luxus. Dann stehen plötzlich die Besitzer des Hauses vor der Türe und sagen, dass in New York der Strom ausgefallen ist und sie hier her geflüchtet sind. Es folgen zwei Geschichten in einer: 1. Schauen wir allen dabei zu, wie mit ihren Erwartungen gebrochen wird (an Hautfarbe, Klasse, Alter, Geschlecht etc.) 2. Wollen wir genau wie die Figuren wissen, was da gerade passiert in der Welt!! Das Buch ist so spannend und gleichzeitig so langsam und präzise erzählt. Die Szene mit Amanda im Supermarkt, in der man seitenlang liest, was sie einkauft und völlig bei ihr ist. Die Rehe! Mannomann. Ich habe das Buch schon spontan mit zwei Buchhändlern gefeiert, wenn man zusammen schwärmt, wird es noch besser.
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