Hach, was war das ein gutes Lesejahr. Kreuz und quer, hier uns da, und trotzdem waren wenig Bücher dabei, die ich richtig schlecht fand. Ich habe es endlich mal durchgezogen, jeden Monat ein Sachbuch zu lesen. (Neben all denen, die ich eh für die Arbeit lesen muss.) Und auch da habe ich viel neues gelernt und mich sogar unterhalten gefühlt. In meine Best-of Liste haben es aber dann doch wieder nur die Romane geschafft. Das sind die, die mich bewegt haben, von denen ich mich verstanden gefühlt habe, die mich mitreißen konnten und die ich beim Beenden am liebsten gleich noch mal von vorne angefangen hätte. Hier sind meine liebsten Bücher aus 2019.
Das weiße Schloss – Christian Dittloff
Obwohl ich mir in 2019 mal wieder vorgenommen hatte, mehr ausführliche Reviews zu schreiben, habe ich es tatsächlich nur bei einem einzigen Buch gemacht: bei diesem hier. Auf dem Umschlag klingt es nach einer kühlen Dystopie: Ada und Yves wollen ein Kind, aber nicht, dass es ihren schönen Alltag stört. Also wenden sie sich an das weiße Schloss, eine Einrichtung, in der bezahlte Leihmütter Kinder auf die Welt bringen und sie für die Eltern großziehen. Stattdessen ist das Buch eine warme Geschichte über Liebe, Beziehung, Eltern sein, Gesellschaft und den Gedanken, dass es mehr als ein Lebensmodell gibt. Ohne den moralisch erhobenen Finger, dafür mit wunderschönen Bildern. Man möchte sich hineinfallen lassen. Und am liebsten gleich noch mal lesen.
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Lincoln im Bardo – George Saunders
{Presseexemplar} Dies hier ist ein Buch, das mich ganz wuschig und glücklich zurücklassen hat – so ein Buch, bei dem der Autor alles anders und alles so, so richtig macht. Und ja, hätte ich mal auf meine Internet-Bubble gehört, die mir schon so lang zu diesem Buch geraten hat!
Die Handlung ist schwer zu erklären: Während des amerikanischen Bürgerkriegs stirbt der Sohn von Präsident Lincoln. In nur einer Nacht begleiten wir den trauernden Vater auf den Friedhof und lauschen all den Geistern, die dort ihre Nächte verbringen. nicht erschrecken, wichtig ist hier die Form: es wird aus fiktiven, historischen Büchern und Berichten zitiert, den Rest erzählen die Geister. Und deren Geschichten sind so traurig, verzweifelt, verwirrt und auch komisch, dass man auf beste Art gar nicht mehr weiß, was man hier eigentlich vor sich hat: eine Trauergeschichte, eine Geisterkomödie, eine „Ode an das Leben“?
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We have always lived in the castle – Shirley Jackson
Mein Herz schlägt für kleine, gruseligen Geschichte, und da habe ich bei diesem Buch eine Perle entdeckt. Es ist kein Horror, sondern hat eher einen unheimlichen Unterton. Fast wie im Märchen folgen wir Merricat und ihrer großen Schwester Constance, die gemeinsam mit ihrem Onkel in ihrem großen, abgelegenen Haus am Dorfrand leben. Schnell wird klar, dass die drei ein schlimmes und mysteriöses Familienunglück überlebt haben und lieber für sich bleiben. Besonders, da die Dorfbewohner sie schlecht behandeln und ausstoßen. Doch dann kommt jemand neues in die kleine Gemeinschaft und Merricat und ihre Schwester müssen sich einer neuen Ausgangssituation stellen. 5 dicke Sterne für Shirley Jackson, die mich auf wenigen Seiten durch Freude, Angst, Trauer, Grusel und so viel mehr geleitet hat. We have always lived in the Castle ist eine Geschichte über Unsicherheit, Schuld, Emanzipation und Familie. Ich mochte jede Seite und will jetzt unbedingt mehr Shirley Jackson lesen.
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Das flüssige Land – Raphaela Edelbauer
{Presseexemplar} Mit einer Handlung kann man „Das flüssige Land” kaum beschreiben, die treibt besonders am Anfang nur so dahin. Als Ruths Eltern sterben, macht sie sich auf den Weg in deren Heimat, in das mystische Dorf Groß-Einland in den Bergen Österreichs. Als sie es zufällig findet, entdeckt sie die nette Dorfgemeinschaft mit den vielen Geheimnissen. Die Unehrlichkeit dieser Dorfbewohner ist genau das, was das Buch ausmacht. Es sind nicht mal reine Lügen, es ist ein Verdrängen, das schon über Jahrzehnte vor sich geht. Was passiert hier eigentlich? Warum ist da ein großes Loch unter dem Dorf, in dem nach und nach alles versinkt? Warum ignoriert es die Gemeinschaft? Was hat die autoritäre Gräfin damit zu tun? All das ist eigentlich egal. Auch Ruth verdrängt und lenkt sich ab, stürzt sich ins Vergessen und Aufklären gleichermaßen. Alles hier fließt, verändert sich und ist in Gefahr. Das gilt für die Natur, die Protagonistin und das Erinnern. „Das flüssige Land“ ist ein tolles Buch, auf das man sich einlassen muss, seltsam und aufregend.
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Lanny – Max Porter
Max Porter erzählt eine einfache Geschichte: eine kleine Familie lebt in einem kleinen Dorf, ein Kind geht verloren… Max Porter erzählt diese Geschichte aber nicht einfach nur, er lässt sie uns erleben. Er spielt mit den Worten und seinem Schreibstil und schafft es damit, die Zeit anzuhalten oder zu beschleunigen, ganz nah an der Figur zu sein oder die Stimmung eines ganzen Ortes einzufangen. Das ist traurig, düster, verspielt, hoffnungsvoll, dramatisch, poetisch und so vieles mehr. Vielleicht muss man am Anfang ein bisschen hereinkommen und es auch sonst mögen, etwas ungewöhnliche Formen von Literatur zu lesen. Das ist das zweite Buch von Max Porter und ich bin schon jetzt Fan. Schon sein erstes Werk, das experimentelle „Trauer ist ein Ding mit Federn“, hat mich umgehauen. Lanny ist zwar nicht so intensiv, aber auch schon wieder ein Erlebnis.
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Frank Ocean – Sophie Passmann
Dieses Buch hat mich an Stellen getroffen, an denen ich es nicht erwartet hatte. Ich mag ja generell von Leuten lesen, die völlig verkopft in einer Sache aufgehen. Hier geht es um Musik; um die Momente, an denen ein bestimmter Song dich mitnimmt, umkrempelt und wieder ausspuckt. Noch mehr geht es aber um schlechte Phasen, in denen der Kopf kaputt ist. Dieses Buch hat mich an einem Tag erwischt, an dem gar nichts gut und es sowohl draußen als auch drinnen viel zu dunkel war. Keine 100 Seiten später fühlte ich mich auf seltsame Art verstanden. Things are weird, but that’s ok. Ach ja, von Frank Ocean muss man übrigens keine Ahnung haben, wird aber danach ganz genau hinhören.
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Das Volk der Bäume – Hanya Yanagihara
Dichter Dschungel, unendliches Grün, unbekannte Tiere, Pflanzen und Menschen auf einer einsamen Insel. Yanagihara zeichnet Bilder, die man förmlich fühlen kann beim Lesen. Es schmatzt, es raunt, es rauscht in den Bäumen. Dabei ist dies nur ein Teil der Lebensgeschichte des Wissenschaftlers Norton Perina, der ein abgelegenes Volk erforscht und dabei ein Mittel für ewiges Leben entdeckt. Seine Forschung bringt ihm den Nobelpreis, aber etwas stimmt nicht in der perfekten Biographie. Bevor wir überhaupt in sein Leben eintauchen, wird uns schon mitgeteilt, dass er wegen mehrfachem Kindesmissbrauch angeklagt wurde. Und so finden wir uns wieder im Werk von Yanagihara, der Frau, die schon mit „Ein wenig Leben“ das Grauen in unser Bücherregal geholt hat. Keine Sorge, so abgründig wie ihr Debüt ist „Das Volk der Bäume“ nicht, aber gut. So, so, so gut, dass einem ganz schwindelig werden kann vor Hitze und Kolonialisierung und Wissenschaftsbetrieb.
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Extra-Erwähnung: Volker Kutscher!
Und auch, wenn es die hier nicht „offiziell“ in mein Best-of geschafft haben: Ich habe dieses Jahr Volker Kutscher entdeckt und fast alle seine Bücher gelesen. Das heißt also was. Ich habe ständig gehört, wie unfassbar gut die Gereon-Rath-Krimireihe sei. Da gab es nur dieses eine Problem: Ich lese keine Krimis und kann mit den meisten auch nichts anfangen. Die Bücher hatten also einen schweren Start bei mir. Interessant ist für mich Krimi-Ignorant das Setting. Es ist zu Beginn 1929, der Kommissar Gereon Rath ist gerade von Köln (heeeey!) nach Berlin gezogen und kommt da gleich einer ganz großen Sache auf die Spur, arbeitet sich hoch, lernt neue Leute kennen. Die Fälle selbst hauen mich nicht um. Das wird sich wohl auch so schnell nicht mehr ändern bei mir. Sehr spannend ist für mich aber der geschichtliche Aspekt, also die Politik und die Gesellschaftstudie. Das beschreibt Kutscher so gut, dass ich nicht mehr aufhören konnte. Die Bücher haben übrigens wenig mit der Serie Babylon Berlin zu tun, auch wenn sie auf den Büchern basiert.
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