Kaum habe ich mich gewundert, dass ich letztes Jahr keinen einzigen Buchtipp geschrieben habe, läuft mir auch schon “Das weiße Schloss” von Christian Dittloff über den Weg. Ein Buch, bei dem ich mich verstanden fühlte, in dessen Seiten ich eintauchen und es auf einen Rutsch durchlesen wollte. Die ersten 5 Sterne in diesem Jahr.
Ich hatte mir schon gedacht, dass “Das weiße Schloss” eines dieser ganz besonderen Bücher werden könnte, denn es wurde mir mal wieder warm von meiner Lieblingsbuchhändlerin in Berlin empfohlen. (Und die hat FAST immer recht) Das einzige, dass ich vor dem Lesen wusste: In einer nicht allzu fernen Zukunft wünschen sich die beiden Hauptfiguren ein Kind, haben aber keine Lust ihr aktuelles Leben dafür aufzugeben. Doch das macht nichts, denn dafür gibt es das weiße Schloss, einen Ort, an dem angestellte Leihmütter fremde Kinder auf die Welt bringen und für die Eltern großziehen.
Auf dem Umschlag klingt das düster – da wird das Bild des “alles kontrollierenden Apparats” heraufbeschworen. Im Buch selbst konnte ich nicht fassen, wie positiv an dieses und viele anderen Themen herangegangen wird. Egal ob klassische Familie, offene Beziehung, ein kinderloses Leben oder eben Besuche im weißen Schloss. You do you. Im großen und ganzen schreit das Buch immer wieder eines heraus: Es gibt mehr als ein Lebensmodell und das tut niemandem weh!
Ja, die beiden Protagonisten Ada und Yves haben richtig viel Geld, machen Karriere, leben in einem idyllisch durchdesignten Neubaugebiet und sollten eigentlich die Leute sein, über die man am wenigsten lesen möchte, weil das alles sehr laut “langweilig” schreit. Die Überraschung: So ist es nicht. Ada und Yves sind sich ihres Privilegs bewusst, sind warmherzige und mitfühlende Figuren, brechen gerne aus der Idylle aus, haben richtig guten Sex und sich für ihr Leben bewusst entschieden.
Zitat: „Sie war eine Kuratorin. Ihre Persönlichkeit, ihr gesamtes Wesen, war die Ausstellung aufregend ausgewählter Erfahrung, deren Herkunft sich in ihrem Sein verspielte und zu etwas Eigenem wurde.“
Jetzt sind die beiden bereit für ein Kind, aber eben nicht “weil man das so macht”. Wahnsinnig viel Handlung gibt es in dem Buch nicht. Hier wird viel in sich hinein gehört, gezweifelt und entschieden. Große Themen wie Elternschaft, Perfektionismus, Geschlechterrollen und Selbstverwirklichung werden dabei angesprochen und zu Ende gedacht. Und das Schöne ist, dass kein Weg kategorisch als falsch abgestempelt wird. Klar, das Thema „klassische Elternschaft“ kommt nicht immer gut weg, aber das sind auch die Stellen, die wir aus Adas Perspektive lesen. Ich fand die beiden Familien mit Kindern jedenfalls nicht so abschreckend, wie manche das wahrscheinlich auf den ersten Blick sehen werden.
Zitat: „Hätte sich plötzlich eine Tür geöffnet und ein Kind wäre in ihre Mitte gesprungen, all ihre Aufmerksamkeit füreinander an sich reißend, und dann wäre sie nur noch Mutter gewesen, die Mutter eines schwarzen Lochs, das ganze Galaxien verschlänge und es noch nicht mal bemerken würde.“
Nach dem Klappentext hatte ich eine kühle Dystopie erwartet, die mich am Ende doch wieder davon überzeugen will, dass ich schleunigst Kinder kriegen soll, stattdessen bekam ich eine warme und sich echt anfühlende Liebesgeschichte. Inklusive Sexszenen, die realistisch und nicht peinlich geschrieben sind! Das muss man erstmal schaffen.
Dazu entwirft der Autor wunderschönen Bilder und Momente. Er erweckt Erinnerungen, die man selbst gar nicht hatte, die man aber doch mit Emotionen füllen kann. Man möchte sich hineinfallen lassen in dieses Buch, besonders wenn man auch nicht den sog. „normalen“ Weg geht.
Zitat: „Sie schauten gemeinsam eng umschlungen Filme und machten sich Popcorn in der Pfanne. Sie rauchten Zigaretten und interpretierten die Form des Rauchs zu ihrer gemeinsamen Zukunft. Sie tranken so viel Whiskey, dass sie kein Wort mehr sagen konnten. Sie schliefen miteinander und feilten an den Techniken, das Gegenüber zu befriedigen, sie sahen sich in ihrem Erfolg. Sie kochten aufwendiger als je zuvor. Sie belebten Freundschaften neu, und versicherten sich gegenseitig der Qualität der Lebensphase.“
Was dann alles weiterhin passiert, werde ich natürlich nicht verraten, weil vielen mich auch immer wieder überrascht hat. Dank der Berliner Buchhandlung Ocelot habe ich jedenfalls auch noch ein vom Autor persönlich signiertes Buch bekommen. (Das ist übrigens sein erstes Buch – wow!) Was mir ja sonst ziemlich egal ist … aber in diesem Fall freue ich mich doch.
Das Buch gibt es hier bei Amazon* und hier beim Verlag.
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