Identität, Europa und ein Buch

Lang, lang ist es her, ich hatte gerade mit meinem Studium angefangen, da diskutierte ich mit einem Bekannten über Identität. Es ging darum, inwiefern ich mich als Deutsche fühlte – oder vielleicht eher als Kölnerin oder Europäerin? Um ehrlich zu sein, hatte ich mir bis zu diesem Zeitpunkt kaum Gedanken darüber gemacht. Warum auch? Wenn man bleibt, wo man ist, stößt man auf wenig „Anderes“ und muss sich deshalb auch keine „abgrenzende Identität“ schaffen.

Nun saß ich aber in einer neuen Stadt, die zwar geographisch nicht weit entfernt, kulturell aber scheinbar auf einem anderen Planeten war. Ich vermisste die Großstadt, die unzähligen Freizeitangebote und meine Freunde. Ich hängte mir für kurze Zeit ein Poster mit Dom ins WG-Zimmer und fühlte mich mehr mit Köln verbunden als jemals zuvor.

So schnell, so einfach. Mit den anderen Kölnern an der Uni kam ich gut zurecht, meine neuen Freunde sammelte ich aber aus unterschiedlichen deutschen Regionen und anderen Teilen der Welt zusammen. Plötzlich waren da auch Schwaben und Cottbusser, Hessen und Sauerländer, Türken, Polen, Spanier, Isländer, Chinesen, Russen und Marokkaner in meinem Leben. Trennte mich von denen etwas? Oh ja. Und war ich deshalb jetzt plötzlich „deutscher“ als vorher? Auch das. Wir saßen zusammen in WGs und Cafés und lachten und diskutierten über unsere Unterschiede. Die waren zum Teil klein und spannend und zum Teil riesig und kompliziert. Wichtiger als alles war aber immer, was uns zusammenbrachte: Kultur. Musik aus Island, asiatische Filme, Essen aus Spanien, Tanzen mit Polen. Ich habe Schwaben getröstet und eine türkische Familie gefunden, die mich heute noch als ihre Tochter bezeichnet. Ich habe Bayern geliebt und mich von Engländern verführen lassen. Aus welchen Orten und Ländern sie alle kamen, war immer wichtig, weil es Teil ihrer Identität war, und gleichzeitig war es egal, weil immer der einzelne Mensch zählte.

Identität setzt sich für mich seitdem aus vielen unterschiedlichen Faktoren zusammen. Ich bin gleichzeitig aus Köln, Deutschland und Europa – das macht mein Wesen aus, aber zum Glück auch nur die Basis davon. Meine Identität speist sich viel mehr aus den Menschen, mit denen ich mich umgebe, und genauso aus der Kultur, mit der ich mich beschäftige. Kunst, Musik, Film, Literatur… Das alles entwickelt mich als Mensch und bringt mich mit anderen zusammen. Ich kann dieses ganze WIR und DIE auf allen möglichen Ebenen deshalb nur schwer ertragen. Wenn man Grenzen zieht, verschwindet der andere übrigens nicht, man findet nur schlechter Gemeinsamkeiten.

Und in diesem Zusammenhang hier ein kleiner Tipp – ein Buchtipp, quel surprise! Ein Buch, das auf kultureller Ebene verbindet. Und ein Buch, das Europa gerade wohl sehr gut gebrauchen kann. Das hört sich schrecklich hochtrabend an, ist es aber gar nicht. In „Typisch Europa – Ein Kulturführer in 100 Stationen“ gibt es zu unterschiedlichen Themen kurze Artikel aus vielen Teilen Europas, die den Fokus auf Gemeinsamkeiten legen.
Da geht es um Brechts Theater und wir springen zur Zwölftonmusik, es geht um Arthur Conan Doyle und bald um Skandinavienkrimis, es geht um den schiefen Turm von Pisa, um Mondrian und die Birkin Bag. Die Kapitel sind kurz, unterhaltsam und interessant. Das Buch liegt auf meinem Wohnzimmertisch und ich blättere immer wieder darin herum.

„Typisch Europa“ ist ein Buch, das mir ein Lächeln auf’s Gesicht zaubert, wann immer ich es in die Hand nehme, voller Schönheit, Kunst und Kultur. In jedem Themengebiet gibt es Neues zu entdecken und ich will mich gleich in ein Thema stürzen. Ein Buch gegen all die Grenzen und schlechten Gedanken des letzten Jahres.

Und das ist genau das, wovon ich hier die ganze Zeit umständlich erzähle. Das Gefühl, nein, die Tatsache, dass uns Grenzen und Sprachen vielleicht trennen, dass uns Kultur aber immer zusammenbringen wird. Und das kann sogar sehr unterschiedliche Kultur sein, die es noch zu entdecken gilt.


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