Ein Abend mit Ezra Furman und schon ist alles gleich nicht mehr so schlimm. Hier haben wir jemanden, dem man jedes Wort seiner Texte glaubt, der keine Geschichten erzählt, sondern sich ehrlich alle Schmerzen, Depressionen und Demütigungen von der Seele singt. Auf den ersten Blick ist Ezra Furman ein Paradiesvogel, wenn man vor ihm steht der schüchternste Mensch der Welt.
Keine Sorge, wir sind heute alle auf seiner Seite. Das Blue Shell ist so voll wie schon lange nicht mehr. Während des Umbaus der Vorband schaffe ich es noch mit viel Mühe mich für Fotos nach vorne zu kämpfen. Nach meinen drei Songs habe ich keine Chance mehr da weg zu kommen. Wie gut, dass in der ersten Reihe meist die nettesten Menschen stehen. Alle Leute pressen so nach vorne, dass ich mir das Konzert halb auf einem Bein stehend und halb auf der Bühne sitzend anschaue. Deswegen wird hier auch nicht so ausufernd getanzt – es ist einfach kein Platz mehr da.
Unterwegs sind Ezra Furman & The Boyfriends mit ihrem aktuellen Album Perpetual Motion People. Das ist wunderbar, hört es auch an. Immer wieder geht es darum, sich seinen Ängsten zu stellen. Er verarbeitet Depression , Identität und Angst mit fröhlichen Melodien. Und man muss ihm nur beim Singen in die Augen schauen, um zu sehen, wie ernst ihm das alles ist. Vor ein paar Jahren kannten wir ihn zusammen mit seinen Harpoons noch als schüchternen, schmächtigen Jungen. Inzwischen hat er sich als bisexuell und Crossdresser geoutet. Das ist mutiger als alles, was wir alle im Blue Shell zusammen im letzten Jahr gemacht haben.
Ezra Furman ist so schüchtern und zurückhaltend, dass einem fast unwohl dabei ist, sich ein Ticket gekauft zu haben. Aber gleichzeitig will er alles rauslassen: Die Erleichterung über das Geschaffte, die Motivation für alle anderen (und dann doch noch mal für sich selbst), die Wut und Verzweiflung, die man noch immer fühlt. Abwechseln möchte man Ezra Furman in den Arm nehmen oder ihm irgendwas reichen, dass er kaputt hauen kann. Besonders der die erste Hälfte des Konzerts ist eine der besten Punkrock-Shows, die ich dieses Jahr gesehen habe. “And maybe God is a Train” ist perfekt.
Und zuhören möchte man natürlich. “My Zero”, “Wobbly”, “Restless Year”, “Lousy Connection”. Mit der Zeit wird Ezra etwas ruhiger und traut sich später sogar, den Pulli wegzulassen. Und obwohl er unglaublich heiß auf der Bühne ist (ich weiß das, ich saß da ja drauf), fressen sich die Selbstzweifel minutenlang in sein Gesicht, bevor er sich traut. “Ich hatte echt Angst mich auszuziehen, aber ihr seid nett”, sagt er, und dann ist das Thema auch durch.
Das Repertoire an diesem Abend reicht über Punk und Pop zu RocknRoll und Doo-Wop. Wir hören Tom Waits im Stimmbruch, ganz viel Violent Femmes und New York Dolls, ein bisschen Lou Reed und, ach egal, alles kommt zusammen. Am Ende tanzt Ezra noch ein bisschen in der Menge und die Band freut sich wie Bolle, dass man im Blue Shell einen Vorhang vor die Bühne ziehen kann, und dahinter versteckt auf die Zugabe warten kann.