Buchtipp: Der Bastard von Istanbul

Ach, diese Bücherstapel der noch zu lesenden Bücher. Eigentlich das Schönste am Leserleben; alte Bücher, die noch warten, deren Charaktere man noch kennenlernen kann, deren Welten noch erforscht werden wollen. Wer diese Stapel aber nicht wegliest oder regelmäßig ausmistet, kennt auch das: da liegen Bücher schon Jahre im Schrank, es scheint nie der richtige Zeitpunkt. Aber irgendwann kommen wir doch zusammen, irgendwann…

So ging es mir auch mit „Der Bastard von Istanbul“. Vor drei Jahren habe ich das Buch auf dem Buchhandlungstag gekauft und seitdem liegt es da. Ich wusste so gut wie nichts darüber, nur dass es richtig gut sein sollte. Um solche Bücher von der Leseliste zu befreien, braucht es entweder eiserne Disziplin, die ganz neuen Käufe links liegen zu lassen, oder einen Trigger von außen. Bei mir war es wie so oft ein Post auf Instagram und dort wurde mir nicht zu viel versprochen. Ich mochte „Der Bastard von Istanbul“ wirklich sehr. Es geht um zwei große und verwobene Familien. In Istanbul berichtet die 19-jährige Asya über ihr Leben als „Bastard“, die uneheliche Tochter in einem Frauenhaushalt voller verrückter Tanten. In den USA ist es Armanoush, die als Armenierin ihre Identität sucht. Als die beiden sich treffen, sollte es aufgrund der türkisch-armenischen Vergangenheit knallen, aber stattdessen passieren 10.000 andere Sachen.

Ich mochte das Buch auch so vielen Gründen:
Zum einen die wunderbaren Figuren! So gut wie alle Protagonistinnen sind Frauen, alle unterschiedlich, jede einzelne mit einer spannenden Geschichte, Motivation und Meinung. Die sind alle verrückt und liebenswert. Manchmal ist es für jemanden, der mit türkischen Namen nicht vertraut ist, schwer alle auseinander zu halten. Aber bleibt dran, es lohnt sich. Ihr werdet mit allen einen Tee trinken und jede einzelne Geschichte länger verfolgen wollen.
Die verwobene Geschichte: die hat hier und da ihre Schwachstellen, aber man kann sie gerne verzeihen, wenn es so viele spannende Wendung und Winkel gibt.
Dazu kommt diese wunderbare Stimmung, die mich gleich sehnsüchtig an Istanbul denken lässt, obwohl ich noch nie da war. (Und so schnell wird das wohl auch nichts, wenn man gerade so dorthin schaut.) Ich mag Bücher, bei denen die Stadt ein eigener Charakter zu sein scheint. Ich will mir die verwinkelten Gassen ansehen, verträumt auf den Bosporus schauen und mit Asya im Café Rotwein trinken.

Elif Shafak ist eine der bekanntesten türkischen Autorinnen. 2006 wurde „Der Bastard von Istanbul“ von der türkischen Justiz überprüft, aber dann doch freigesprochen, denn im Kern dreht sich die Handlung immer wieder um die Deportationen und Massenvernichtungen der Armenier in 1915 und wie sowohl die Armenier als auch die Türken heute mit dieser Vergangenheit leben. Ich mag wie uns Elif Shafak die Ansichten beider Seiten näher bringt, ohne mit dem Finger zu zeigen. Und wie man als Leser versteht, ohne belehrt zu werden.

Viel zu lange hat das Buch auf meinem Regal gewartet und den richtigen Zeitpunkt dann doch gefunden. Mit wagem Blick schaue ich hinüber und frage mich, welche Schätze ich bisher noch verpasst habe, weil sie schon so lange dasitzen, warten und von neuen Büchern verdrängt werden… Aber bald, ganz sicher.


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