Annen May Kantereit, 12.10.2015, Zakk (Düsseldorf)

Manchmal muss man das Glück auf seiner Seite haben… Ich rede nicht von Annen May Kantereit, keine Sorge, DAS ist Talent! Ich rede von mir. Seit circa einem Jahr versuche ich jetzt schon, die drei (mittlerweile vier) jungen Herren aus Köln live zu sehen. Das ist aber gar nicht so leicht, wie man denkt. Lässt man mal die Auftritte weg, an denen ich zeitlich nicht konnte, war jedes fucking Konzert sofort ausverkauft. Auch mehrere hintereinander! Und auch vor Presseanfragen können sie sich nicht mehr retten. Damit muss ich also gar nicht erst kommen.

Heute spielen Annen May Kantereit also im Zakk in Düsseldorf, übrigens schon den dritten Abend hintereinander ausverkauft, das letzte Konzert ihrer Tour. Hatte ich erwähnt, dass die drei nicht mal ein Album draußen haben? Keine Single im Radio? (Na gut, Henning singt für K.I.Z. »Hurra, die Welt geht unter«, aber das ging bei Annen May Kantereit ja viel früher los.
Die Leute, die auf die Konzerte kommen, haben bisher also nur von anderen Leuten gehört, wie gut Annen May Kantereit sind, oder sind wie ich eines Tages über ein paar YouTube-Videos gestolpert, in denen ein schmächtiger Junge mit der Stimme eines alten Säufers traurige Lieder singt.

Das kommt ja eben noch dazu, der Mann hat nicht nur eine Stimme, bei der jedem halbwegs musikalisch interessierten Menschen schwindelig wird! Die Texte sind zusätzlich auch noch so gut, dass das Publikum die Hälfte der Zeit vergisst zu atmen, damit sie auch jedes Wort verstehen.

Ein von Miriam (@c.c.cologne) gepostetes Video am

Wäre ich 14 Jahre alt, mein Gott, was wäre ich verliebt in die vier. In alle auf einmal. Und besonders in diese Stimme, die alles zum vibrieren bringt. Wäre ich 24, wie sehr könnte ich bei diesen Texten miterleben, was gerade um mich herum passiert. WG-Leben, Liebe, Verlassenwerden, Wut, Melancholie. Das ist es nämlich: die Texte sind auf wunderbare Art frei von Ironie und beschreiben das Gefühl, Anfang 20 zu sein, so genau, dass es wehtut. Und das meine ich nicht als dumme Phrase, das meine ich so.
»Und du bist 21, 22, 23 und du kannst nach noch gar nicht wissen was du willst«
»Ruf mich nicht mehr nachts an, wenn es schlimm ist und du mich vermisst.«
»Ich will nicht jeden Morgen von neuem letzte Nacht bereuen.«
»Du hast dich oft gefragt, was mich zerreißt. Ich hab aufgehört mich das zu fragen.«

Ich habe schon lange keine so junge Band mehr mit so gutem Sound und so viel Traurigkeit und Wut im Bauch gehört. Wie ehrlich die das meinen, weiß jeder im Publikum spätestens bei »Du bist nicht hier«. Da freestylen Annen May Kantereit ein bisschen und Sänger Henning erzählt spontan und sehr bestimmend wie scheiße das ist, wenn er von der Hälfte der Zuschauer das Handy ins Gesicht gedrückt bekommt, während er über seine Gefühle singt.
»Wenn du da dein Handy so hoch hältst – die Leute hinter dir sehen doch gar nichts.«
»Ein Foto, ja gut, aber was denkst du, wie sich das anfühlt, wenn ich hier alles ja nur für die Kamera singe?«
Das ist nicht lustig, das sagt er so bestimmt. Das steckt so voller junger Melancholie und Traurigkeit, dass man ihm auf der Stelle ein Bier ausgeben möchte, oder einen Whisky für die Stimme. Aber es wirkt. Die Leute lassen die Handys weg.

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Ich bin nun schon etwas älter als 14 oder 24, und kann nach dem Konzert überwältigt sagen: mehr bitte. Und hey, es wird besser, das Leben, ja, hier und da. Aber manchmal auch eben nicht. Und dann bitte mehr davon. Weil die Texte dann am besten sind. Und auch, wenn hier bei mir gerade alles ein bisschen scheiße ist, was für ein Scheißglück hatte ich denn bitte an diesem Montag im Oktober, an dem ein Freund sich meldete und sagte, er könne nicht zu Annen May Kantereit, und ob ich ihm denn den Gefallen tun und den Konzertbericht übernehmen könne?

Die nächste Tour startet schon im April. Die Konzerte sind schon so gut wie alle ausverkauft, in Köln spielen sie dann übrigens schon im E-Werk, zweimal hintereinander.

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