Meine Woche – Mit Kettcar im Zug

Manchmal muss man sich vergewissern, dass alles noch ok ist. Alltag ist ein Arschloch, und manchmal bekommt man nicht mit, wenn es schlecht läuft oder auch wie gut es uns eigentlich geht. Eines von beidem oder beides. Manchmal rufen dann plötzlich die Menschen an, die in einer anderen Zeit mal deine besten Freunde waren, und fragen, ob du sie sehen willst – was geht, Baby. Manchmal fährt man 5 Stunden nach Berlin, um Menschen kurz zu sehen, und sie die Realität zurechtrücken zu lassen.

Ich fahre also nach Berlin, um einen Teil meiner alten Freunde zu sehen, die gerade zufällig in der Stadt sind. Wo wir früher jeden Tag miteinander verbrachten, sehen wir uns jetzt vielleicht einmal im Jahr, wenn es ein gutes Jahr ist. Ist es immer öfter nicht. An alten Freunden merkt man, was für ein Mensch man geworden ist, wie weit man sich von den früheren Vorstellungen von sich selbst entfernt hat, oder wie sehr man sie vielleicht sogar getroffen hat. Uns geht es gut, wir machen weiter. Wir reiben unsere Leben aneinander und schauen, wo es Funken wirft. Und wenn es gut ist, dann knistert es noch wie früher. Es knistert noch. Aber wie müde wir doch sind – aus so unterschiedlichen Gründen. Und wie wenig Zeit wir doch haben – hätten wir das mal vorher gewusst, vor Jahren vielleicht. Hätten wir dann über wichtigere Dinge geredet? Wahrscheinlich nicht.

Und wenn ich schon mal 5 Stunden nach Berlin fahre, kann ich auch neue Freunde treffen. Diejenigen, bei denen ich bisher nur die Oberfläche kenne und bei denen es noch so viel zu entdecken gibt. Die selbst bis jetzt nur um das Licht herumflattern und dir (fast) ohne Grund vertrauen. Das ist schön. Neue Freunde zeigen dir, wer du gerade bist, jetzt in diesem Moment. Die wissen nicht, wer du mal warst, wo die Reise hin geht und wie lange sie dabei bleiben werden. Und auch da ist zu wenig Zeit. Viel zu wenig Zeit, aber für jetzt und den Moment ist das genau die Zeit, die man braucht.

Das alles ist Berlin, an einem einzigen Tag, nach 5 Stunden Fahrt. Und ich falle ins Bett und kann nicht schlafen, weil die Gedanken rasen und da eine Motte im Zimmer ist und draußen auf der Straße jemand ein türkisches Volkslied singt und ich zuhören und es verstehen will.

Am nächsten Tag geht es schon wieder nach Hause und der Kopf ist voll. Voller Ideen und Emotionen und guten Gedanken. Berlin ist besser. Ich sitze noch ein bisschen in Cafés, die keine andere Stadt so hinkriegt. Ich esse komisches Essen, von dem ich nicht weiß, was damit los ist. Ich besuche meinen Lieblingsbuchladen und hole mir Nachschub. Und dann sitze ich im Zug und sage allen auf Wiedersehen und ich fahre 5 Stunden zurück nach Hause, wo all die Menschen auf mich warten, mit denen ich jetzt meine Tage verbringe. Und das ist gut so, die sind die Basis für alles.

Wie gut es uns eigentlich geht. Wir können für einen Tag an einen Ort fahren, der noch vor ein paar Jahren ein anderes Land war. Wir können Orte besuchen und Menschen treffen, die noch vor wenigen Jahren ganz andere waren.
Ich bin müde, und wenn ich müde bin, werde ich emotional. Und dann höre ich Kettcar im Zug und falle in mich zusammen. Ihr wisst schon, was ich meine.


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